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Das falsche Selbst in Form der Überanpassung

Aktualisiert: 12. Feb. 2021

Das falsche Selbst ist als eine Art Überlebensstrategie zu verstehen. Ein Kind, dass in ein Umfeld geboren wird, indem die Eltern selbst sehr traumatisiert oder überfordert sind, hat oft nur die Möglichkeit, sich an die Bedürfnisse der Umwelt anzupassen, um überhaupt wahrgenommen zu werden und wenn nicht das, zumindest keine negative Aufmerksamkeit zu erhalten. Es erkennt sehr schnell, dass sein wahres Selbst in dieser Familie nicht geachtet oder wahrgenommen wird, ja meist sogar verboten ist. Die Umwelt, vor allem die Eltern verlangen zu viel vom Kind. Sie verlangen vor allem Anpassung an ihre Vorstellungen. Das Kind soll ruhig, brav oder fleißig sein. Wut oder Trauer dürfen nicht ausgelebt werden und müssen unterdrückt werden.

Diese innere Spaltung, kann für das Kind eine wichtige Überlebensstrategie sein und verdient auch Anerkennung. Nur geht es darum, dass diese innere Spaltung im Erwachsenenalter zu großen Problemen, insbesondere im zwischenmenschlichen Bereich führen kann. Nehmen wir ein Beispiel anhand einer Beziehung: (Hierbei handelt es sich lediglich um ein Fallbeispiel und hat keine allgemeine Gültigkeit)

Peter hat immer wieder unbefriedigende Beziehungen. Besonders am Anfang einer Beziehung gibt er sich sehr viel Mühe, er ist sehr hilfsbereit, opfert sich komplett für seine Partnerinnen auf und kapselt sich komplett von seinen eigenen Bedürfnissen ab. Nach einer Zeit merkt er, dass er sich selbst wieder verlassen hat und außerdem fehlt ihm die angemessene Anerkennung für seine Leistungen. Er wird immer unzufriedener. Allerdings löst es eine unglaubliche Angst in ihm aus, wenn er sich mitteilen und seiner Partnerin seine Bedürfnisse anvertrauen würde. Innerlich könnte folgender Dialog erfolgen: "Wenn ich ihr sage, was ich möchte, könnte sie mich für bedürftig halten oder mich ablehnen". Oder "wenn ich Ansprüche stelle oder Nein sage, könnte sie mich verlassen". Da diese Ängste innerlich so übermächtig sind, schafft Peter es nicht sich zu offenbaren und fährt weiter seine Strategie der Anpassung.

Hier entstehen die typischen symbiotischen Beziehungen. Es gibt keine genau Unterscheidung mehr, zwischen den Partnern und allein die Vorstellung, ohne den anderen leben zu müssen, ist fast nicht auszuhalten. Sollte der andere Partner anfangen, den Überangepassten abzugrenzen, kann sich das wie Ablehnung oder eine starke Kränkung anfühlen. Das was gekränkt werden kann, ist aber lediglich das falsche Selbstbild, mit dem sich der Überangepasste aber komplett identifiziert hat. Wenn du ihn fragen würdest, wer er ist, könnte er diese Frage nicht beantworten und es könnte ihn in eine tiefe Krise stürzen. Das wahre Selbst ist soweit abgespalten, dass keine Verbindung mehr hergestellt werden kann.



Die Strategie der Überanpassung, kann in überfordernden Momenten auch in die Überabgrenzung umschlagen. Statt alles zu tun, tut er gar nichts mehr. Er sagt nur noch Nein. Überanpassung schlägt um in Rückzug und Distanz. Aggression kann nur passiv oder durch schweigen ausgelebt werden. Hier versucht der Überangepasste, anstatt angemessene Grenzen zu setzen oder für seine Bedürfnisse einzustehen, wieder ein Machtgleichgewicht herzustellen, was allerdings reine Illusion ist, da hier wieder nicht das wahre Selbst zum Vorschein kommt, sondern nur die andere Seite der Medaille dieser Selbstschutzstrategie.


Hier könnte der Glaubenssatz dahinter stehen: Lieber verlasse ich, als verlassen zu werden... Er würde hier zwar meist nicht in aller Deutlichkeit die Beziehung beenden, allerdings geht er immer wieder aus dem Kontakt und frustriert somit immer wieder die Bindungsbedürfnisse seiner Partnerin, für die sich das jedes Mal wie verlassen werden anfühlt. Sie fragt sich, wer denn nun der wahre Mensch hinter diesen Masken ist. Allerdings ist die ehrlichste Antwort hierzu: Keiner von beiden. Das wahre Selbst, ist immer noch tief verborgen unter dieser Strategie und kam vielleicht nur in kurzen Momenten zum Vorschein. Das Dilemma ist, dass eine Person im Symbiosemuster oft selbst nicht mehr weiß wer sie ist und was ihr wahres Selbst ist. Es ist so tief vergraben unter den Konditionierungen, den Glaubenssätzen, dem funktionieren müssen usw., dass es denjenigen in eine tiefe Identitätskrise stürzen kann, sollte er einschneidende Lebensumstände, wie Trennung, Jobverlust, der Tod eines Angehörigen o.ä. erleben.


Der Überangepasste oder Mensch im Symbiosemuster, wünscht sich nichts sehnlicher als in seinem wahren Wesenskern angenommen und wahrgenommen zu werden. Allerdings wird das immer wieder zu einem tiefen Gefühl von Alleinsein oder nicht gesehen werden führen, weil er sich niemals oder nur sehr selten wirklich zeigt. Wenn er Anerkennung erhält, dann nur für das falsche Selbst (den hilfsbereiten, unterstützenden, sich selbst aufopfernden, braven und liebevollen Part) und hier wird dieses Gefühl niemals zu der Befriedigung führen, als in seinem innersten Kern, als der, der er ist, unabhängig davon ob er etwas leistet, wahrhaftig erkannt, gesehen und angenommen zu werden. Es kann unglaubliche Heilungserfolge geben, wenn dieser Mensch, vielleicht das erste Mal in seinem Leben, sein wahres Selbst zeigen darf und genau dafür geliebt wird und auch lernt sich in erster Linie selbst anzunehmen, um Unabhängig von äußerlicher Bestätigung und Zufuhr zu werden. Dann kann diese tiefe Kränkung des inneren Kindes, niemals von seinen Eltern gespiegelt und angenommen worden zu sein, endlich aufgelöst werden.




Diese Selbstschutzstrategie ist beziehungsverhindernd, kann aber durch systemische Aufstellungen bewusst gemacht und gelöst werden. Wichtig sind hier folgende Interventionen:


- Nein sagen lernen

- Grenzen setzen

- Zugang zu seinen Bedürfnissen und Gefühlen bekommen

- Selbstwertsteigerung

- Autonomietraining

- offene Kommunikation

- unterdrückte Wut angemessen ausdrücken


Gerade die systemische Selbstintegration nach Dr. Langlotz, bietet hier ein sehr wirksames Werkzeug, dem Klienten dieses Muster erstmal bewusst zu machen. Er nähert sich vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben dem wahren Selbst an und erkennt das falsche Selbst als Introjekt und Überlebensstrategie. Wenn er dann begreift, wie sehr ihm dieses Muster früher mal dienlich war, kann er sich voll Dankbarkeit und Demut zeigen und sich aber heute bewusst und schrittweise davon lösen, um endlich er selbst zu werden und ein authentisches Leben mit erfüllten Beziehungen zu führen.


Jacqueline Pomaroli



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